Inscriptio Mensis Aprilis – Inschrift des Monats April
Die Herkunft des Monatsnamens April ist nicht zweifelsfrei geklärt. Zum Teil wird der Name auf das Verb aperire (= öffnen) zurückgeführt, da sich im Frühling z.B. die Knospen der Pflanzen öffnen, zum Teil auch auf das Adjektiv apricus, das „sonnig“ bedeutet.
In jedem Fall „öffnet“ der April durch das allmählich zunehmende „sonnige“ Wetter auch wieder verschiedene Möglichkeiten, beispielsweise im Garten oder – für die Bootsbesitzer – auf dem Wasser…
Die Tafel mit dieser Inschrift befindet sich an einem Haus in der Jürgenaswieke in Rhauderfehn und gibt einen Hinweis auf die Schifffahrtstradition des Ortes.
Übersetzt lautet der Spruch: „Zur See zu fahren ist notwendig.“ Man findet ihn nicht nur in Rhauderfehn, sondern in verschiedenen Orten an Gebäuden, die in irgendeiner Weise mit der Schifffahrt verbunden sind, so unter anderem am Haus der Seefahrt in Bremen. Manchmal ist er auch beim Stapellauf oder der Taufe eines neuen Schiffes zu hören.
Es handelt sich tatsächlich um ein antikes Zitat, wobei „Navigare necesse est…“ eigentlich nur die sprichwörtliche halbe Wahrheit ist. Vollständig lautet der Ausspruch:
Navigare necesse est, vivere non est necesse. –
Zur See zu fahren ist notwendig, zu leben ist nicht notwendig.
Diese zunächst einmal widersinnige Aussage braucht einen Kontext, der sie zumindest im Ansatz erklärt. Diesen liefert der antike Schriftsteller Plutarch (ca. 46 – ca. 120 n. Chr.). Er schrieb in griechischer Sprache so genannte Parallelbiographien, in denen er jeweils einem Griechen einen „vergleichbaren“ Römer an die Seite stellte. Eine dieser Biographien behandelt das Leben des römischen Politikers und Feldherrn Gnaeus Pompeius Magnus [= der Große] (106 – 48 v. Chr.).
Pompeius verfügte über ein außerordentliches Organisationstalent und wurde dadurch zu einer Art Krisenmanager des Römischen Reiches, der sich unter anderem erfolgreich um die Niederschlagung eines großen Sklavenaufstandes oder um die Befreiung des östlichen Mittelmeers von Piraten kümmerte. Zum Zeitpunkt des „Navigare“-Ausspruchs war er gerade für die ins Wanken geratene Getreideversorgung in Rom zuständig und somit angewiesen auf möglichst zuverlässige Transporte aus verschiedenen Teilen des Imperiums.
Plutarch zufolge soll Pompeius die oben zitierten Sätze ausgerufen haben, als er vom Ufer aus auf ein solches Transportschiff sprang, mit dem die Besatzung aus Furcht vor einem heranziehenden Sturm nicht aus dem Hafen auslaufen wollte. Auf diese Weise wollte er den Seeleuten sozusagen die Unbedingtheit und Dringlichkeit seiner Forderung klarmachen. („Stellt euch nicht so an“ hätte wohl auch weniger Überzeugungskraft gehabt und wäre sicher nicht zum bekannten Zitat geworden. Als Inschrift kann man es sich jedenfalls nicht vorstellen…)
Zunächst einmal charakterisiert diese Anekdote Pompeius: bestimmend, kühn, ein Vertreter der virtus, die den Einsatz für die Gemeinschaft höher stellt als das eigene Leben. Das ist typisch römisches Denken, und Pompeius steht nicht allein da als ein Beispiel für diese Zentraltugend der Römer, für die es – Lateinschülerinnen und Lateinschüler wissen das – eigentlich kein deutsches Wort gibt, das den Begriff eins zu eins wiedergeben könnte. Bei der virtus geht es um Verantwortungsgefühl, tadelloses Verhalten, Mut und eben den bedingungslosen Einsatz für die Gemeinschaft als Summe aller Eigenschaften, die einen römischen vir (= Mann) ausmachten. Latein Lernenden fallen in diesem Zusammenhang die in fast jedem Lateinbuch behandelten Helden der Frühzeit ein, wie Horatius Cocles, Marcus Curtius, Cloelia oder Mucius Scaevola, die allesamt diese von Pompeius geforderte Opferbereitschaft für Rom verkörpern. In unserem Lateinbuch Prima N zum Beispiel findet man Bilder von ihnen und die Geschichte des Horatius Cocles ab Seite 63.I.
Allerdings sollte man im Falle von Pompeius nicht vergessen, dass nicht er selbst mit dem Schiff in den Sturm fahren musste. Stattdessen übernahm er nur die Rolle des Fordernden, der sich zumindest in diesem Fall (er war ansonsten wohl in der Tat ein mutiger Seefahrer) sicher an Land sitzend und vielleicht zufrieden lächelnd über seinen gelungenen Sinnspruch freuen konnte – auch wenn er vermutlich nicht ahnte, dass er soeben Worte für die Ewigkeit formuliert hatte…
Zum anderen ist der Spruch wohl unabhängig vom Charakter seines Urhebers gerade deshalb so verbreitet, weil er in gewisser Weise eine Absage an die Grenzen des menschlichen Daseins formuliert. Der Mensch ist von der Natur her eigentlich für das Leben an Land ausgestattet, akzeptierte diese Beschränkung aber nicht und strebte aufs Meer hinaus. Dabei nahm (und nimmt) er in Kauf, dass er so immer wieder auch sein Leben in Gefahr brachte (und bringt). Eine Entwicklung der Menschheit ohne Seefahrt wäre komplett anders verlaufen und ist mit dem Blick auf die Geschichte nur schwer vorstellbar.
Der Kampf des Menschen gegen seine Grenzen: Insofern steht Pompeius (zumindest mit Worten) hier in einer Reihe mit Goethes Faust oder den Raumfahrern des 20. und 21. Jahrhunderts.